BGH I ZR 226/14 – Ist eine Felge ein Reparaturteil?
Nach Art. 110 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) besteht für Erzeugnisse, die Bauelement eines komplexen Erzeugnisses und zu dessen Reparatur vorgesehen sind, kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Eine Reparatur ist dabei eine Wiederherstellung des ursprüngliches Erscheinungsbildes des komplexen Erzeugnisses.
Beispielsweise sind Kotflügel für Kraftfahrzeuge vom Gemeinschaftsgeschmacksmusterschutz ausgeschlossen: Der Kotflügel ist ein Bauteil des komplexen Erzeugnisses Kraftfahrzeug, der bei einer Reparatur zur Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes des Fahrzeugs getauscht wird. Aufgrund der Regelung des Art. 110 GGV können Drittanbieter solche Ersatzteile für Kraftfahrzeuge anbieten. Der Automobilhersteller hat kein Designmonopol auf diese Reparaturteile. Was bei einem Kotflügel sehr eindeutig ist, ist nicht für alle Bauteile klar. Im Einzelfall muss entschieden werden, wann ein Bauteil überhaupt ein Reparaturteil im Sinne der GGV ist.
In seiner Entscheidung „Kraftfahrzeugfelgen II“ hat sich der I. Senat des Bundesgerichtshofes (Az. I ZR 226/14) mit der Frage befasst, ob Kraftfahrzeugfelgen, die einzeln oder zu mehreren als Ersatzteile für ein bestimmtes Fahrzeug angeboten werden, eine Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein können oder ob der Schutzausschluss nach Art. 110 GGV gilt.
Leitsätze:
a) Die Schutzschranke gemäß Art. 110 Abs. 1 GGV ist grundsätzlich auf Felgen von Kraftfahrzeugen anwendbar, die farblich und in der Größe den Originalfelgen entsprechen, wenn die Verwendung der Felgen notwendig ist, um ein Kraftfahrzeug zu reparieren, das etwa aufgrund des Abhandenkommens der Originalfelgen oder deren Beschädigung schadhaft geworden ist.
b) Der Anbieter solcher Kraftfahrzeugfelgen kann sich auf die Schutzschranke gemäß Art. 110 Abs. 1 GGV nur dann mit Erfolg berufen, wenn er Sorgfaltspflichten erfüllt, die sich auf die Einhaltung der in Art. 110 Abs. 1 GGV geregelten Voraussetzungen durch die nachgelagerten Benutzer beziehen.
c) Danach obliegt es dem Hersteller und dem Anbieter, den nachgelagerten Benutzer mit einem klaren,
gut sichtbaren Hinweis auf dem Erzeugnis, auf dessen Verpackung, in den Katalogen oder in den Verkaufsunterlagen darüber zu informieren,
– dass in die betreffende Felge ein Geschmacksmuster aufgenommen ist, dessen Inhaber er nicht
ist, und
– dass diese Felge ausschließlich dazu bestimmt ist, mit dem Ziel verwendet zu werden, die Reparatur des Kraftfahrzeugs zu ermöglichen, um diesem wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen.
Der Hinweis muss in den Sprachen gegeben werden, die in den Ländern allgemein verständlich sind,
an deren Einwohner sich das Angebot bestimmungsgemäß richtet.
d) Der Hersteller und der Anbieter haben zudem mit geeigneten Mitteln, insbesondere vertraglicher Art, dafür zu sorgen, dass die nachgelagerten Benutzer die Felgen ausschließlich mit dem Ziel der Reparatur des Kraftfahrzeugs verwenden.
e) Weiß der Hersteller oder der Anbieter, dass der nachgelagerte Benutzer die Felgen nicht ausschließlich mit dem Ziel der Reparatur des Kraftfahrzeugs verwendet, oder müssen Hersteller oder Anbieter dies bei Würdigung aller maßgeblichen Umstände vernünftigerweise annehmen, muss ein Verkauf unterbleiben.
Mit diesen Leitsätzen wurden vom I. Senat klare Bedingungen vorgegeben, die erfüllt sein müssen, damit Erzeugnisse wie Felgen als Reparaturteile angesehen werden und somit unter den Schutzausschluss des Art. 110 GGV fallen.
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